Digital Stories from Europe

 

Die Lessingtage 2021 mit Beiträgen aus Stockholm, Paris, Moskau, Berlin und Barcelona

 

von Heinrich Oehmsen

 

Im Januar sind die Lessingtage im Thalia Theater immer das herausragende Theater-Ereignis in der Hansestadt. Die Lessingtage setzen sich mit brennenden gesellschaftspolitischen Fragen der Gegenwart auseinander und werfen einen Blick in andere Länder und Erdteile. Sie sind mit den verschiedenen Gastspielen und Co-Produktionen Treffpunkt der internationalen Theater-Szene und präsentieren außergewöhnliche Inszenierungen und weltbekannte Regisseur*innen und Schauspieler*innen. Das wird in diesem Jahr bei der inzwischen 12. Auflage nicht anders sein, nur mit dem entscheidenden Unterschied, dass sich kein Publikum zum Alstertor oder in die Gaußstraße aufmachen muss, um die Produktionen zu verfolgen. Wegen der Corona-Pandemie und des damit verbundenen Lockdowns können alle Gastspiele nun digital angeschaut werden.

In diesem Jahr kommen die Gastspiele aus Stockholm und Moskau, aus Turin und Paris, aus Budapest und Berlin. Partner des Thalia Theaters ist in diesem Jahr das Schauspielhaus Dramaten in Stockholm. Beide Bühnen gehören zu mitos21, das ist ein Netzwerk der wichtigsten europäischen Bühnen. Die Mitglieder wurden mit der Frage angeschrieben, ob sie an diesem digitalen Festival teilnehmen möchten. Ein Programm, wie in den Vorjahren durch die Dramaturgie des Thalia Theaters und Kuratorin Nora Hertlein exklusiv zusammengestellt, war unter den gegebenen Voraussetzungen nicht möglich. Die teilnehmenden Theater haben ihre Inszenierungen selbst ausgesucht, und stellen jeweils eine kurze Einführung zu jeder Aufführung zur Verfügung. Die Programme finden in den jeweiligen Originalsprachen mit englischen Untertiteln statt, und sind nur einmalig für einige Stunden gratis online verfügbar.

"Pradies" – Thalia Theater © Krafft Angerer 

Eröffnet werden die diesjährigen Lessingtage von einer Arbeit, die im September 2020 Premiere vor Publikum im Thalia gefeiert hat. Christopher Rüping, 2019 zum „Regisseur des Jahres“ gewählt und einer der spannendsten jungen Regisseure in Deutschland, hat Paradies – Fluten/Hungern/Spielen von Thomas Köck im Großen Haus am Alstertor auf die Bühne gebracht. Rüping hat bereits einige Erfahrung mit digitalen Formaten. Bereits während des ersten Lockdowns hat er am Schauspielhaus Zürich eine mehrteilige Netz-Serie erfunden, die live gestreamt wurde und jeweils von 1000 Zuschauer*innen gesehen werden konnte. Wenn Paradies an diesem 20. Januar um 19 Uhr startet, werden die Schauspieler*innen auf der Bühne agieren, nur ohne Publikum. Für diesen Livestream müssen Interessierte sich für 9 Euro Karten unter www.thalia-theater.de online reservieren lassen. Es ist die einzige Live-Veranstaltung bei diesen Lessingtagen, die nicht kostenlos ist. Alle anderen Aufführungen sind sogenannte Konserven.

Gleich zwei sehr unterschiedliche Inszenierungen gibt es von Fjodor Dostojewskis Roman Der Idiot.  Zum 200. Geburtstag des russischen Schriftstellers zeigen die Lessingtage eine moderne Interpretation von Mattias Andersson, dem künstlerischen Leiter am Stockholmer Dramaten (22.1.). Die zweite Produktion des Idioten kommt in der Originalsprache aus Russland, in der Regie von Maxim Didenko, einem der gefragtesten russischen Theaterregisseure der neuen Generation. Ästhetisch schlägt der Künstler einen ungewöhnlichen Weg ein und inszeniert den Idioten mit nur vier Darstellern als „Cirque Noir“. Mit wenig Dialog, viel Körpereinsatz und starker Schminke zeigt Didenko einen neuen Umgang mit dem berühmten Stoff.

"Idioten" – Dramaten Stockholm © Roger Stenberg 

Auch andere Theater-Klassiker werden in neue Zusammenhänge gestellt.  Guy Cassiers, Leiter des Toneelhuis aus Antwerpen hat zwei klassische Mythen als zeitgenössische Bearbeitungen an seinem Theater auf die Bühne gebracht. Stefan Hertmans schrieb für ihn eine Antigone in Molenbeek, die bekannte britische Autorin und Popkünstlerin Kate Tempest stellt die Geschichte des blinden Propheten Tiresias in einen urbanen Zusammenhang (23.1.). Auch Henrik Ibsens Volksfeind wird in Volker Löschs Bearbeitung für das Düsseldorfer Schauspielhaus zu einem aktuellen Zeitdokument, indem er den Klassiker zusammen mit Jugendlichen und Umweltaktivist*innen zu einem Stück über Umweltschutz, Macht und Moral macht. Greta Thunberg lässt grüßen! (29.1.)

Auch Brechts Kaukasischer Kreidekreis unter der Regie von Michael Thalheimer, Shakespeares Maria Stuart, von Anne Lenk in Szene gesetzt, und weitere  spannende Aufführungen laufen noch bis zum 31. Januar im Stream auf der Website des Thalia Theaters. Das ausführliche Programm und alle Daten finden Interessierte ebenfalls unter www.thalia-theater.de

Einen exklusiven Beitrag hat das Thalia unter dem Titel Voices of Europe. Visions for a Theatre for the Future zusammengestellt. Einige der bedeutendsten Theaterschaffenden Europas geben Einblick in ihre Arbeit und äußern sich zum Theater in einer zukünftigen Gesellschaft. Neben vielen Regisseur*innen, deren Arbeiten bei den Lessingtagen gezeigt werden, kommen unter anderem Kirill Serebrennikov (Gogol Center Moskau), der Dramatiker Simon Stephens, Thomas Ostermeier (Schaubühne Berlin) und Ivo van Hove (International Theater Amsterdam) zu Wort. Eine 30-minütige Zusammenfassung wird am 21.1. um 19 Uhr gezeigt. Einige der Beiträge, die für den Film gekürzt wurden, sind vom 21.1. in voller Länge auf dem YouTube-Kanal des Thalia Theaters sowie auf Facebook abrufbar.

Hier geht es zur Website des Thalia Theaters.